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Abl

34 ENDE

29/3/2017

 

Abl sieht die Frau noch immer an seinem Bett sitzen, in dem er so lange gelegen ist, sieht sie jetzt aber, als sei sie gedörrt, nicht lebendig und nicht ganz tot, ausgetrocknet, haltbar. Abl geht, ohne in seine Schuhe geschlüpft zu sein, die Treppe hinunter, über den Teppich abgefallener Föhrennadeln, den steinigen Hang hinunter, in die Richtung von Braun, Grau und Gelb, von verwehten Erden, entblößten Felsen und wanderndem Sand. Nur in diese Richtung kann er gehen ohne je stehenbleiben zu müssen. Nur auf diesem Weg hinterlassen seine Füße keine Spuren. Da ist der Wind ganz trocken und die Sonne heiß. Hier können die Gedanken aus dem Körper weichen, und weit über ihm in der Luft kreisen. Hier erhalten die Füße den Schmerz, der den gehenden Füßen zukommt, hier wird sich der Körper in seiner Trockenheit zuhausefühlen. Gefahr droht nur durch den Schlaf, der den Traum zuläßt, der einen anderen Weg weisen könnte. Daher muß das Gehen bewahrt werden, weil es das Wachen schützt, das dem Rastlosen die Unaufhaltsamkeit bewahrt, den Schutz der Besessenheit vor der Besinnung.

33 (vorletzter Abschnitt)

28/3/2017

 

Abl träumt von einer kleinen blattlosen Pflanze, die nächst seinem Bett in einer Ritze zwischen den Steinplatten wächst, die fast nur aus Wasser besteht. „Nirgendwo Wasser, nur dieser Gestank, der in mir ist, und der mir entweicht, den ich verbreite und der mich vergiftet.“ Kein einziger Muskel gehorcht Abl.  Am 29. November beginnt Abl zu glühen. Er glüht trocken vor sich hin und sieht Bäume, die nicht wissen, wie es ist ein Blatt zu tragen, sieht Frauen, die in Bächen schwitzen, und um den Vollmond aus den Achselhöhlen bluten. Er sieht einen leuchtenden Käselaib, der zu Grabe getragen wird, eine Heilige die auf ihm niederkniet und ihn beatmet. Zwischen den zarten Drücken von Luft, die sie ihm spendet, ruft sie seinen Namen in die Nacht hinaus. Dann kniet Abl vor einer weinenden Frau, mit der ihn nichts verbindet als Sehnsucht. Er weigert sich der Vater der 28 hungernden Kinder zu sein. Er ist nicht der Mann, der seine Arme ausbreitet, dabei Flughäute ausspannt, um sich von einer Windbö oder dem Luftstoß eines Zuges wegfegen zu lassen, spürt aber den Schmerz des Aufschlagen seines Kopfes auf den Steinen und das Schürfen der Haut.

32

27/3/2017

 

Abl wird zusammengestellt, angekleidet und mit der Schwester auf die Straße geschickt, um zu sehen, wie sich der Proband verhält unter den Menschen, die mehr oder weniger aus einem einheitlichen Körper bestehen. Wie geht er mit seinen ihm möglicherweise noch nicht vertrauten Gliedmaßen um, wie verhalten sich die Eingeweide in ihrer willkürlichen Zusammenstellung?
Er redet mit niemandem. Er betritt Anna´s Wohnung, wirft sich auf sie, knetet ihre fleischigen Oberarme, und so weiter. Zugleich ist er in jender Stadt, die er zum erstenmal betritt, deren Namen er nicht kennt, deren Sprache er nicht spricht. Er redet nur mit sich, und das sind zur Zeit viele. Seine Hälften ersehnen einander. Die Namen, die an ihm haften, sind ihm Rätsel. Das anfängliche Tanzen, das Gefühl zu schweben, hat sich gelegt. Stattdessen kriecht er durch labil geschichtete Zeit, auf einem Erdboden, auf einem Erdboden, der zu leben scheint. Er geht in leeren Straßen. Er geht in leeren Straßen zwischen netten Zeilenhäusern. Die Stadt liegt über eine Hügelkuppe gebreitet, in einen sanften Trog gebettet, an dessen Hänge geklebt. Ihre Ausläufer verlieren sich in einem Waldgürtel. Abl sieht Frauen Krüge auf dem Kopf tragen.; Krüge von der Form schreitender Frauen. Abl versucht im Vorbeigehen in die Fenster der Häuser zu sehen. Hinter einem Fenstergitter schreit ein Mann Abl an, sieht aber an ihm vorbei: „He, hast Zigaretten, gib schon, schau! Das hats mit mir gemacht, Verfluchtes, gib schon, wirfs weg und gib her!“ Abl weiß nicht und geht weiter, und hört die Stimme noch nach. 

31

24/3/2017

 

Er ließ die Schwester weiter ein Geplauder mit ihm führen, den Assistenten das eine Bein abnehmen, und ein anderes sehr behaartes ansetzen, seine Leber heraustrennen, und eine andere, die seiner nicht ähnlich roch, einpassen. Er ließ sich seine Nieren herausnehmen, beide zugleich, und den Schock von einem Gerät auffangen, das klaglos funktionierte, wozu alle Anwesenden applaudierten. Er ließ den Rest von sich, verschlaucht und verkabelt mit einer Anzahl von Geräten, aufheben, wozu ein ein Mann genügte, und zu Boden schmettern, was ihm eine Bewußtlosigkeit bescherte, und den anderen das Gefühl, sein Wohl ganz in der Hand zu halten, denn die Wiederherstellung erfolgte absolut zufriedenstellend.
Während seine Viertel abgehangen werden, läßt man ihn in seinen offenen Schlund essen. Abl unterhält sich mit der Schwester, und sinniert über den Spruch beim Spülbecken: „Im Mittelpunkt der Mensch!"

30

21/3/2017

 

Abl hängt stattdessen geviertelt an Fleischerhaken um auszubluten. Er hat sich für die Versuche eines Naturwissenschaftlichen Institutes beworben. Die Aufnahme war freundlich gewesen, und so, als hätte man nur auf ihn gewartet, und die Auswahl-Rituale mit den wenigen anderen Bewerbern inszeniert, um ihm ein Gefühl des Ausgewähltseins zu geben. Er ließ sich vom Duft der Sekretärin zum Professor führen, vom Professor durch eine Anzahl von Fragen und schließlich in den Versuchsraum, der wohnlicher eingerichtet war als ein Wohnzimmer. Er ließ das Messer des Professors seine Brust- und Bauchhaut in kopfstehender Ypsilon-Form einschneiden, ließ den Assistenten für die Rippen die Knochenschere benutzen. Er ließ die Schwester sein Haar streicheln. Er ließ sie in seine Adern spritzen, was sie wollten, und sich einen Blutzulauf anlegen, während ein Kübel unter dem Tisch sein austretendes Blut sammelte. Er ließ den Zweiten Assistenten seine rechte große Zehe abschneiden. Er ließ ihn die Blutung mit einem getränkten Tupfer stillen. Er ließ den Professor mit einer Sonde in die Bauchschlagader eindringen bis zum Herzen, daß ihm schwindlig wurde, woran er sich gewöhnte, bis in die Halsschlagader, bis ins Hirn. Er ließ ihn hinter dem Ohr den Schädel aufstemmen. Er ließ sie mit Sonden, die spitz, als Schlaufe, oder als Häkchen endigten, seine Nase auskundschaften. Er ließ sie seinen Schwanz abnehmen, mitsamt den Eiern. Er ließ sie seine Blase herausnehmen, und auf dem Tisch ausbreiten. Er ließ sie auch Pause halten nach zwei anstrengenden Stunden, und er ließ es sich gefallen, ihre Wurstbrote zu riechen und ihre Gespräche zu hören, worin er nicht vorkam, sondern nur „das Präparat“.

29

19/3/2017

 

In der Nacht sitzt Abl und denkt. Er legt sein Ohr an die Erde, um zu wissen, was sein wird. „Es wird sein, woran die Erinnerung nicht zu verbannen ist!“ Ein ganzes Leben wird Abl vergeuden, um zu verführen und verführt zu werden, eine überdrüssige Zahl von Begattungen zu begehen. Ein ganzes Leben wird Abl eigens dazu vergeuden, umherzuziehen, um beim Anblick der Greisinnen zu wissen, er hätte Alter und Hinfälligkeit und das Hervorkriechen der falschen Männlichkeit des Weiberalters gesehen und gespürt, als er das Innerste der jungen Wunderbaren leckte und stieß, hätte er nicht sein Blut aufgebessert mit Wein. Abl trauert, aber bereut nicht. Ein Segen könnte sein, einer einzigen der Wunderbaren von Anfang an beizuwohnen, Anteil zu haben an dem winzigen Augenblick ihrer Jugend, und auch alles übrige staunend zu erleben.

28

17/3/2017

 

Abl ist bei dem Haus, betritt den Garten und geht zu der Tür, mehrmals zögernd. Er öffnet die Tür. Er bleibt in der geöffneten Tür stehen, horcht, und ruft dann. Er ruft einen ungeformten Laut, da er nicht weiß, nach wem zu rufen er sich getraut. Er sieht die Schellen am Türrahmen baumeln, nimmt sie an der Schnur und beutelt sie heftig. Er ist sehr ungeduldig, daß etwas geschehen solle.
Seine Mutter erscheint, erkennt ihn und verschwindet. Er hatte Groll und Verachtung gesehen. Als er zögernd wieder bimmeln will, erscheint eines seiner Kinder oben auf der Stiege, sieht ihn und nähert sich, zögernd zuerst, dann aber heftig, bis Abl ihn zu fassen kriegt und an sich reißt und an sich drückt. Wild und wund ist Abl vor Tränen, naß, offen und aufgeregt.
Es wird im Garten gegrillt. Die Kinder laufen umher mit fragenden Schritten im feuchten schweigenden Gras. Abl ist zärtlich zu seiner Frau. Das Feuer ist zärtlich zum Speck, der mit seinem Schweiß die Glut weiter erhitzt. Speck und Glut beduften die Luft. Abls Eltern sind kalt. Die Luft der Nacht ist kalt. Abl erinnert sich, wie kalt ihm war. 

27

15/3/2017

 

„Wenn ich nichts sonst haben sollte, so habe ich meinen Traum, der mich in meiner Blindheit Vertrauen gelehrt hat. Nach langer Abwesenheit kehrt er zu mir zurück.“ Abl blickt im Laufen auf die zerborstene Tür der Apotheke zurück, sieht die Köpfe aller in der Tür sich drängen. Keiner betritt die Schwelle oder berührt den Türstock. Sie rufen ihm nach, drohen nach ihm, beschimpfen ihn, verunglimpfen seinen Namen und spucken aus.
Abl fährt sich an die Brust, und spürt erleichtert die Sonnenbrille in der Hemdtasche, nimmt sie und setzt sie auf. Endlich Licht! Vor allem erinnert er sich, wie kalt ihm war, nach und nach aber auch an alles andere. Er weiß nicht in welche Richtung er gehen sollte, bis er erkennt, dies sei das Dorf, in dem er manche Zeiten seiner Kindheit verbracht hat. Des Platzes, an dem seine Familie mit dem kranken oder gesunden oder bereits toten Kind auf ihn wartet, oder nicht mehr wartet, kann er sich nicht erinnern. Es fällt ihm das Haus seiner Eltern ein, und er kann sich vorstellen, über seine Eltern zu seinen Kindern zu gelangen. Zumindest könnten sie ihm eine Möglichkeit bieten, sein Zeitgefühl einzurichten. Vielleicht aber würde das Haus auch verlassen sein. Vieles, was er auf seinem Weg sieht, ist so, wie er es in der Erinnerung kennt, wie es aber nicht mehr sein kann, und fast alles, was er nicht vor seinen Augen hat, entzieht sich seiner Vorstellung; die ganze restliche Welt. Er geht den Weg zu dem Haus mit der Gewißheit es zu finden. Er spürt, man wird ihm wegen seines Verschwindens Vorwürfe machen; dahinter die Entschlossenheit, ihm niemals zu verzeihen.

26

13/3/2017

 

Gegen Mittag erhob sich Abl und nahm wieder aufrecht am Tischchen Platz. Jeder schlürfte sein Süppchen. Abl lehnte ab. Er erhob sich nicht, sprach nicht, beobachtete, aber dachte nicht. Gegen Abend stellte er fest: „Die Macht, aufzustehen und wegzugehen, ist für mich nicht faßbar!“ Abl kauerte sich ein, denn der Tag war bereits zuende gegangen. Er schlief nicht. Als die anderen in der Früh sich nach und nach aufrichteten, und ohne sich zu räkeln und zu gähnen an die Tischchen setzten, schlief er tief ein und bekam einen Traum.
Am späten Nachmittag ging einer der Apotheker die Runde unter den Kunden, faßte den einen und den anderen kurz am Schopf und schlug ihn mit dem Schädel kräftig auf die Tischplatte. Bei dem einen und anderen rann sofort Blut von der Stirn. Jeder wartete ohne Unruhe, bis er an die Reihe kam. Auch Abl widersetzte sich nicht. Als man danach die Näpfe mit der Suppe brachte, wischte Abl den vollen Napf vom Tisch. Links von ihm begann ein Mann zu sprechen: „Ich bin der Hauptmann dieses Landkreises, Verantwortlicher also nicht nur dieses Dorfes, sondern auch sieben weiterer Gemeinden, aber eben auch Bürgermeister hier, Vorsitzender der Fleischer jenes etwas abgelegenen Dorfes, Schirmherr der Bandwirkerinnen der Nachbargemeinde und …“ - „Ich hingegen bin der Pfarrer und ständiges Mitglied und seit vielen Jahren auch Vorsitzender etlicher wichtiger Zusammenschlüsse …“ - „Ich wiederum besitze drei Zinshäuser in der Stadt. Die meiner Frau gehört haben …“ Abl schenkte jedem seine Aufmerksamkeit, die nur von Wort zu Wort reichte. Als jeder sich vorgestellt und seine Stellung hervorgehoben und seine Bedeutung gewürdigt hatte, war der Tag zuende und Abl kauerte sich ein. In der Nacht kam der Traum, der in einem fort nur Fragen stellte, und immer deutlicher wurde; unerträglich deutlich. In der Früh sagte der Traum: „Du wirst jetzt die Augen öffnen und sofort die Tür erblicken. Du wirst sodann aufspringen und dich mit aller Kraft gegen die kreuzweise mit Latten vernagelte Tür werfen. Keinen Augenblick darfst du zweifeln, die Tür beim ersten Anprall in Stücke zu reißen, und so ins Freie zu gelangen. Du wirst sehen!“

25

13/3/2017

 

Mehrere Kunden lümmeln an der Theke. Manche sitzen an Tischchen. Alle löffeln aus ihrem Napf. Eine Tür steht halboffen. Von der Tür und von den Essenden ist ein Geruch klösterlicher Ausspeisung. Vor Abl wird ein Napf Grießnockerlsuppe hingestellt, mit dem Geruch von Abwaschwasser. Abl schiebt die Schüssel von sich und stellt sich Fragen. Er lehnt sich zurück und sieht seine Fragen verstummen. Er verfolgt jedes Geschehen im Raum, nimmt am Dasein des einen Anteil, oder an einer Geste eines anderen. Seine Aufmerksamkeit bewegt sich nur von Einzelheit zu Einzelheit, und hält nichts fest. Abl stellt fest: „Die Macht der Sprache ist in diesem Raum abwesend.“ Der Tag geht zuende. Abl kauert sich ein und schläft nicht.

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