Schließlich ist es völlig dunkel um ihn; selbst als er die dunkle Sonnenbrille abnimmt. Er sieht den Bildschirm, sonst nichts mehr. Das Graulicht trifft nirgends auf. Er greift nach seinem Sack und sucht seine Sachen zusammen. Er bemüht sich, nichts liegenzulassen an einem Ort, an den er nie zurückkehren, den er im Traum nicht mehr auffinden würde. Er spürt Bedürfnis nach einer Zigarette, der duftenden Wärme wegen, will aber ganz unsichbar sein. Er hinterläßt den Fernseher und geht so, daß er den hellen Fleck noch sehen kann, wenn er sich danach umdreht. Nach recht wenigen Schritten ist er verschwunden. Er sieht kein Schimmern eines Himmels. Nichts ist zu sehen. Jedes lautlose Wesen, durch Abls knackende, raschelnde Schritte, oder in seiner Nachtsichtigkeit durch Abls warmen Körper angelockt, angetrieben von Neugier, Bosheit oder bloßen Hunger, könnte ihn plötzlich berühren, hinwerfen, seine Zähne in seine dünnen Arme, oder Krallen in seinen Rücken schlagen, oder sein Bein umklammern, ihn zu Fall bringen und sich auf ihn werfen, um an ihm Nahrung zu haben und Nähe.So wacht Abl auf vor einem Fernsehapparat auf einem Waldweg. Er achtet nicht auf das Programm, starrt nur auf den Schirm mit seinen grauen Schatten, und läßt die Bilder wechseln. Die Dunkelheit hinter dem kleinen Schirm und in seinem Rücken und zwischen den Bäumen verschlimmert sich zusehends. Er sieht sich um und erkennt wie es dunkelt. Gerade konnte er noch viele Schritte weit sehen. Die Einzelheiten des Unterholzes verfilzen. Die schlanken Stämme stehen, aber fügen sich mehr und mehr ein. Abl hockt auf dem festgetrampelten Boden des Weges mit hängendem Kopf und vorgeschobener Unterlippe, und glotzt. Ein Moospölsterchen berührt ihn am linken Fußknöchel.So geht Abl mit den Erinnerungen an den Traum den Weg zur Stadt. Er geht in ein Hurenhaus ohne zu ahnen warum, sucht sich eine fette Hure aus, mit schlechten Zähnen, mit schwerem kalten Fett, das sich um sie ausbreitet, als sie sich zum Dienst legt. Er stößt in einen Körper ohne Widerstand, sie kommt ihm mit wesenlosen Beckenstößen zuhilfe. Abl verkrallt sich in das Fett das an ihr hängt.
Gegen Morgen erhebt sich Abl mit starken Gefühlen für seine Mutter aus der schlaflosen Starre. Er friert. Am Körper spürt er den Tau. An der Weggabelung dampft ein Misthaufen. Abl geht den Weg zur Stadt. An der Weggabelung fällt ihm der Traum ein: Die Mutter läßt Abl das Kind mit dem Dienstmädchen allein. Das Dienstmädchen sperrt das Zimmer ab und steht da. Sie geht an ihn heran, der an der Waschmuschel lehnt. Sie riecht nach dem Erdäpfelkeller, dem Hendlstall, der Küch und dem Hund. Sie riecht nach der Seife und dem Schweiß, dem Waschpulver und der sonnigen Luft vor dem Fensterladen. Der Rand des Waschbeckens ist kalt und wird immer härter im Rücken Abl des Kindes. Das Dienstmädchen holt Abls Kopf an ihre Brüste. Sie riechen nach Käse. Die Hände riechen nach dem Kalk der Mauern und dem Teppich im Speisezimmer. Was, wenn sie jetzt ihre Brüste entblößen wird. Sie entknöpft den Arbeitskittel und entblößt ihre Brüste. Große weiße Laibe oder Leiber ragen auf ihn zu und zittern vor jedem Wort und leben von jedem Atemzug. Abl will dies und jenes und gedenkt zu verharren, bis die Hand wie eine Hakenschaufel seinen Kopf umfaßt und ihn heranführt. Sie aber steckt ihm auch einen der Sauger, die aussehen wie die Zitzen eines Schweins, ins Maul. Ich muß mich hinsetzen, sagt sie, mir wird ganz schwach, ich bin schon ganz naß. Ihr kräftiger Arm faßt Abl unter dem Hintern und trägt ihn zum Bett. „Es ist so schön mit dir, du bist so lieb.“ Der Polster hat einen Duft von Brennesseln die in der Sonne stehen, und von dem kleinen Tümpel und von den Regentagen. „Wir ziehen uns ganz aus“, sagt das Dienstmädchen.Montag nachmittag schreitet das wilde Schwein, verkleidet als Pfarrer, mit drei Leuten aus dem Dorf auf dem Fuhrweg. Die Hände im Kreuz vereinigt, schlendert das Schwein und unterhält sich mit den Leuten zu seinen Seiten. Die rasierten Halswülste raspeln über den steifen weißen Kragen, wenn sich die Aufmerksamkeit des Schweines dem einen oder dem anderen, oder der Landschaft der einen oder der anderen Seite zuwendet. Abl findet nichts an dem wandelnden Schwein, aber die Kinder jammern, es übe Verrat: „Seinen fetten Bauch, den es sich auf unserer Tischdecke vollgefressen hat, trägt es hoffärtig vor sich her!“Die Nacht verbrachte Abl wie fast jede Nacht wachend. Gegen Mittag machte er sich daran, die Halme, die aus dem Blech des Wagens ragten, zu rasieren, schabte dabei viel Lack ab und hinterließ Löcher im Blech, in denen die Halme noch steckten.Man kann sich hinstellen und sagen: Verstehe einer das Schilf! Aber Abl betrachtet es nur und stellt sein Treiben fest. Er rechnet damit, daß ihm die Kraft ausgehen wird, wenn es versuchen wird, die lichtschwache Fläche unter dem Auto zu durchqueren, und sieht nicht voraus, daß es versuchen wird, unter dem Wagen Triebe hervorzubringen. Aber das Schilf nährt sich im fetten Graben gut und kann so das Wachstum seiner Ableger auch in schwierigem Boden betreiben. Es besiedelt die Fläche jenseits und rings um den Wagen. Abl staunt: Triebe von besonderer Schärfe und Steifheit durchbohren den Wagen. Nach wenigen Tagen ragen die Halme aus der Motorhaube, stehen im Wageninneren und entfalten ihre Blätter über dem Dach. Der Wagen ist vielfach gepfählt. Leute aus dem Dorf halten in ihrem Spaziergang inne und lassen das Auto in seiner Schande auf sich wirken. Abls Frau erkennt, daß die Leute fänden, es sei verachtenswert schlampig, seinen Wagen einem wild wuchernden Schilf zu überlassen. Abl findet des Gedanken lächerlich, ein Auto zu pflegen, das er nicht mehr in Betrieb zu nehmen gedenkt, angenehm die Wendung, daß das Schilf das Fahrzeug unwiderruflich festgenagelt hat. Und das Schilf bohrte sich neue Kanäle in Blech und Polsterung und drang selbst durch das schräge Glas.Der Weg hat Schotter. Der Rand geht rund in einen knietiefen Graben. In dem Graben wohnt üppiges Schilf. Es schickt quere Kriechwurzeln nach allen Seiten aus. Wenn es könnte, würde es die ganze Welt besiedeln. Schilfwurzeln schieben sich auch unter den schweren Schotterschütt des Weges. Da der Schotter schwer und der Boden darunter steinhart gefahren ist, treiben nur hie und da kleine Pflänzchen des Schilfs auf dem Weg. Fährt ein paarmal ein Wagen darüber, treten Füße darauf, oder werden Ochsen auf dem Weg getrieben, sterben die Pflänzchen ab.Am allermeisten erinnert sich Abl wie kalt ihm war.
|
blattlimwind Archiv |