Chöre hab ich, sag ich, und Du, Du mußt, wenn du den Blick nicht abwenden willst, suchen, wo du je Chöre hattest. Es ist das Requiem von Brahms, und wenn ich keinen Regen haben kann, und keinen Sonnenschein, Regenbögen, keinen Wind und nichts von der Natur, wie sie vorkommt, aber sicher nicht hier, so erfüllen deren Aufgaben die Chöre im Ohr und auf der Haut. In meinem Haar weht ihr Wind. Aber Du, Du hast den Wind niemals gespürt, und auch nicht vernommen seinen Laut. Also muß Du suchen. Leg diese Schrift weg, oder such den Wind!
Wir sind gewohnt, rasch eine Lösung zu finden für ein jegliches Bedürfnis. Und auf diese Weise ist das Leben umsonst. Wenn Du hier lebst, in dieser Stadt, und Du gebärst eine Sehnsucht nach Regen, so wird sie, scheint Dir, ein Leben lang unerfüllt bleiben müssen. Wie aber kommt´s, daß ich lebe, obwohl ich Sehnsüchte hege so viele Jahre schon? Schau, es gibt Entsprechungen. Es gibt überhaupt keinen Grund zu verzweifeln dahier. Den Mond hast Du nie gesehen und nie die Sonne. Frühling, Du fragst, was Frühling ist? Ich wiederhole, leg dieses Buch weg, mein ganzes Leben liegt darin, das ich Dir schenken will, aber leg es weg, oder suche mit aller Geduld. Denn es gibt Entsprechungen; und haben wir nicht gelernt zu klettern? Alles, was ich liebe, wonach ich mich sehne, kann man nicht beziffern. Diese Feststellung ist wichtig, denn diese Stadt, und Du kennst nichts anderes, beruht auf der Zahl. Alles hier ist meßbar und einstellbar. Was ist mit Dir, denkst Du nicht ans Sterben? Sind wir also einander fremd; gänzlich fremd? Für die Vielzahl der Schritte, die den Weg ausmachen, sind die Zahlen unbrauchbar, der Reichtum der geläufigen Worte ist nichts, wenn Du den Tod erblickst, Deinen eigenen. Der Tod aber ist wunderbar; Dein Leben ist nichts ohne ihn. Du genießt Deinen einzelnen Atemzug nicht, ohne den liebevollen Atem des Todes. Stelle Dir vor, Du könntest heraustreten! Du könntest heraustreten aus dieser Stadt und aus Deinem Leben. Und soviel zu den rasch erfüllbaren Bedürfnissen: Niemals wirst Du den Wunsch nach Freiheit befriedigen hier in dieser Stadt. Niemals, bevor Du nicht stirbst. Halbwinder hat seine Arme gespreitet auf den Dächern, der Sonne entgegen, gerade bevor die Stadt für immer ihr Schädeldach zubaute über sich. Was es an Menschen alles gibt hier, so gibt es entsprechend an Tauben alles, was keiner sich ausdenken kann; ich staune Tag für Tag. Nur diese beiden Arten von Lebewesen gibt es: Tauben und Menschen. Unschwer lassen sich in den unzähligen Arten der Tauben die Verschiedenheiten der Menschen erkennen, und überdies alle Gedanken, die einer haben kann. Es ist unmöglich, daß sich einer einen Menschen, oder eine Taube ausdenkt, die es so noch nicht gibt. Oder irgendeine Eigenschaft, wenn sie sich denken läßt, so ist sie in irgendeinem Menschen und ebenso in einer Taube abgebildet. Regen, Wind, Sterne, und all das, was wir im Fernsehen hinnehmen als Stopfgut, als Kulisse, aber niemals zu Gesicht bekommen, und nicht ersehnen, aber auch das hat, behaupte ich, Abbildungen, zu finden in den Menschen und in den Tauben. Denn, so behaupte ich, alle Welt ist wiedergegeben in den Elementen dieser Stadt, von Gott bis zu den Staubpünktchen. Du, Du denkst wie ich, siehst wie ich. Nur darum schreibe ich das. Wenn einer nicht sieht, aber er könnte sehen, und er beginnt zu begehren, daß er sähe, für den lohnt sich die Mühe. Also Du, Du begehrst mehr als alles das, was uns umgibt, und das alles von Menschen selber gemacht ist. Aber mehr noch: Wir müssen mit nur dem leben, und können nur glauben, daß das nicht alles ist. So zu leben, das ist das Schlimmste; und das Schönste.
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Monica Cselley aka „Monica C. Abbalonga-Borboleta“ aka „blattlmwind“ - Dichterin - Visual Arts - LEISE KUNST Archiv
Juni 2020
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