Der Mann der Bücher aß 3 Er war sich seines Gesangs nicht bewußt gewesen. Jetzt verfolgte er meine Gedanken, wie sich die vielfarbig leuchtenden Vögel, die aus Ritzen und Poren des Trottoirs kaum über die Köpfe der Passanten aufstiegen, zerfielen und niedernieselten. Wie mir diese Gebilde als Gesang erschienen seien, bildhafte Gebete an das Leben im Licht, Seufzer an die guten Menschen, die möglicherweise doch existierten. Wie ich den Bogen spann - Schwingungen, Vibrationen, Töne, der zu ihm führte, tief tief auf den finsteren Boden der Stadt, zu ihm, dem papierenen Wesen, das jetzt Glück ausstrahlte: „Ich habe gesungen! Es war mir nicht bewußt. Daß etwas von mir nach draußen ans Licht gedrungen ist, kann ich kaum glauben.“
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Der Mann, der Bücher aß 2Alles, was diesem alten Mann anhaftete, alle Erinnerungen, die ihn durchströmten, sein Wesen, seine Person, kamen auf mich, erbte ich in der kurzen Begegnung, weil ich nicht über die geringste Möglichkeit de Abgrenzung verfüge zu dem was mich, nah oder fern, in Zeit oder Raum, umgibt.
Daher glaube und empfinde ich, wissend, daß es nicht so ist, ich hätte die vielen Jahre eingemauert in den tiefen historischen Schichten der Stadt vegetiert, jeden Tag ein Buch aus der umfangreichen Bibliothek verzehrt; Seite für Seite; wiedergekäut, nicht gelesen. Der Inhalt der Tausenden Bücher der Bibliothek seines Vaters, die diesem nur zu Prunk und Protz gedient hatten, ist ebenso auf mich übergegangen wie die Erkenntnisse - er nennt sie „Leuchtereignisse“, die sich einstellten, als er, dessen Name „Sohn“ war, sie aß. Auch Sohn litt an der Eigenschaft keinerlei Grenzen aufbauen zu können. Jedes Buch, jedes Geräusch, alle Erinnerungen die seine Mutter weggesperrt glaubte, die Empfindungen seiner Mutter; ihr selbst ganz und gar unbekannt. Der Mann, der Bücher aß 1Nichts wäre ich als Geschichtenerzählerin, wäre nicht dieses alte Wesen, als ich noch jung war, vor mir zu Staub zerfallen.
Wäre ich eine Schriftstellerin, professionell, wären dem ersten Satz längst weitere gefolgt, „rattatatta!!!“. Ich aber bin alt geworden, und kein bißchen zur Vernunft gekommen und scheitere weiter daran, daß ich natürlich keine Geschichte erzählen kann, wenn mein Herz nichts Üppigeres freigibt, als knappe hoch konzentrierte Verse für winzige Gedichte ( ein bis zwei pro Jahrzehnt; vielleicht ). Damit, und indem ich, wenn schon einmal ein einziger Satz zu Tage gekommen ist, augenblicklich das Hier und Jetzt verlasse, um in Anschauung der mystischen Ereignisse, die ich eigentlich schildern sollte und wollte, zu versinken, habe ich mir meine reine Erfolglosigkeit und die teure Freiheit verdient. |
Monica Cselley aka „Monica C. Abbalonga-Borboleta“ aka „blattlmwind“ - Dichterin - Visual Arts - LEISE KUNST Archiv
Juni 2020
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