Keine Minute um irgendeinen Besuch zu empfangen. Aber während ich Monika verständlich zu machen versuche, wie man ein Gulasch kocht - sie stammt aus Texas, ihre Koch-Gepflogenheiten sind etwas roh, eher schon barbarisch - bittet mich Schnabelkerf um nur einen Augenblick Gehör. Also gut, Schnabelkerf, wie gehts? „Beschissen. Ich stehe vor einer Wand. Ich weiß, daß niemand mich verstehen kann, darüber bin ich so traurig. Soll ich einsam sein weil ich ein Loch in mir habe wie einen Krater, weil ich die Menschen liebe wie niemand mich liebt. Ich fresse Scheiße, Unmengen von Scheiße. Man zwingt mich das zu tun. Ich tu es aber auch aus eigenem Antrieb. Ich fresse mit einem Ekel, der mich fühlen läßt, daß es mich gibt. Ich bin so glücklich, wenn ich spüre, daß es mich gibt. Aber ich bin totunglücklich, daß es mir so sein kann.“ An manchen Tagen drängen alle zu mir, hat jeder ganz Wichtiges zu sagen. Ich kann mich Schnabelkerf nicht widmen. Ich vertröste ihn. Ich wünsche an diesem Tag keine weiteren Besuche.
Aus seiner Tür rennt Wiesel, in der Hand eine blecherne Milchkanne von beträchtlicher Größe, die mir ans Schienbein schlägt, weil er mich gar nicht bemerkt.
Ich trat eine Tür auf. Drinnen auf einem Stuhl eine Frau, ein Moccatäschen in der Hand. Ihre Haut weiße Schokolade. Der Rock auf dem die andre Hand ruht, erinnert an eine Reisedecke. Der Rücken kerzengerade, ein wenig Hohlkreuz, daß der Rock am Gesäß fest strafft. Die Beine eng beieinander. Am Sofa auch das Hündchen, beide starrten mich an. Beide hatten nur den Kopf gewendet. Wie gut alles an ihr funktioniert, sie hört nicht auf das Fingerchen zu spreizen an der Hand die die Tasse hält, während ihre Glasaugen vor Angst starren. Aber nur ins Gesicht sieht sie mir ohne sich zu regen, nicht auf die Riesenknarre in meinen Händen. Aber gleich regt sich Leben in ihr und will diesen Leib und all das Blöde in ihm vor Schlimmem bewahren, während ich beinahe schon wieder verschwunden bin. Das Blöde in ihr lädt mich ein, ein Tässchen mitzutrinken. Das Blöde aus ihr spricht so blöde, daß ich mir die Haare raufen werde, wenn ich nicht gleich verschwinde. Aber das Blöde das auch in mir wohnt und sich nährt und mästet davon, daß ich die Menschen liebe, und mitleide mit einem jeden, dem ich mein Gesicht nicht schnell genug abwende; und selbst dann, antwortet ihr und geht auf sie ein, weil mir ihre Einsamkeit zu Kopfe steigt. Da sieht mein linkes Auge den anschleichenden Buckel und das lauernde Augenweiß und die Fäuste und die Axt eines Mannes. Meine Hände und die Waffe und die Geschosse aus ihr werfen den zu Boden. Und mein Bauch richtet die Hände und die Waffe auch auf die Frau und jagt auch sie zum Teufel und auch das Hundchen. Beim Eindringen des Bleis in sie sackt sie nicht zusammen, sondern zerspringt wie Glas und wie zerspringendes Glas hört es sich auch an. Der Lauf meiner Waffe ist heiß von den vielen Schüssen nur für die beiden und das Hündchen. Ich spüre und will es nicht, daß wegen der beiden, wegen des Kretins, daß mich anspringen und erschlagen will, wenn ich mich schon zum Gehen wende, und der Blöden, die wünschend zusieht, meine Schlaflosigkeit zurückkehrt. Schlaflosigkeit ist das schlimmste Übel das einen Menschen befallen kann. Während ich die Straße „Chromglanz“ entlanggehe leide ich an der ersten Phase. Ein rascher Wechsel zwischen Auflehnung und dem Gedanken aufzugeben. Das Wissen mich noch erwehren zu können wenn ich das Wehren ließe. Noch bin ich ja nicht müde, kann ich die Schlaflosigkeit gar nicht spüren, weiß aber, daß sie da ist. Um den Schlaf zu prüfen will ich mich irgendwo zurückziehen um mich hinzulegen. Ein paar Stunden später sitze ich erschöpft in einem brauchbaren Versteck. Sitze und sinke um, rolle mich ein und kann nicht schlafen. Die Schlaflosigkeit deren Körper ich in der Stirn spüre, hat ihre Wurzelarme überall in meinen Körper gesenkt, unter der Oberfläche entlang in alle Glieder, von der Haut ins Innere mit Haarwurzeln, mit feinen Netzen um alle Organe, hat sich einen Zwillingsleib unter meinem Herzen geschaffen, der Arme treibt wie Korkenzieher, daß die Schlaflosigkeit der Stirn und die der Brust einander umschlingen und ihr Netz gemeinsam verdichten, daß sie sich von meinem Blut, meinem Fleisch und meinen Knochen nähren und wachsen können. Daß ich den Schlaf nicht vergesse, schließe ich die Augen. Ich erinnere mich noch wie ich mich gewöhnlich hinlege und mich einrichte wenn ich schlafe, und versuche die Stellungen nachzuahmen. Nach unbestimmbarer Zeit ist diese Phase vorüber. Ich finde verwunderlich wie ich da liege. Ich habe den Schlaf vergessen. Wie ich mich sonst nicht wundere, daß es nur entweder den Schlaf oder das Wachsein gibt, wundere ich mich jetzt nicht, daß es nur das Wachsein und die Schlaflosigkeit gibt. Die Schlaflosigkeit ist in meine Augen gedrungen; hat sich rund um die Augen ausgebreitet. Ich fürchte die Schlaflosen mehr als alle anderen Menschen. Wie die Lage ist, würde ich gut daran tun jeden Schlaflosen dem ich begegne sofort zu töten. Sie sind unverwechselbar, der Körper und vor allem die Augen des unentwegt Wachen. Ich fürchte mich selbst, wenn ich schlaflos bin, denn dann tu ich, was ich nicht tu, wenn ich imstande bin Schlaf zu finden, und was ich nicht gutheißen kann. Und schlaflos werde ich meist, wenn ich tu, was ich nicht gutheißen kann, oder mich erinnere an etwas, was ich nicht mag. Ich kann keinen Schlaflosen töten, wenn er mir nicht schon auf der Gurgel sitzt, denn sein Unglück, das ich spüre und von dem ich weiß, lähmt mich.
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